• 21. Juli 2016

Håkan Nesser: Die Lebenden und Toten von Winsford

Buchtipp von Christina Hohmann

Håkan Nesser: Die Lebenden und Toten von Winsford

Håkan Nesser: Die Lebenden und Toten von Winsford 750 500 Anne Fries

Inhalt

Die 55-jährige Schwedin Maria mietet sich unter falschem Namen ein entlegenes Haus im kleinen Dorf Winsford in der südenglischen Heide, um dort den Winter zu verbringen. Den wenigen Dorfbewohnern, mit denen sie Kontakt hat, erzählt sie, sie sei Schriftstellerin und nutze die Abgeschiedenheit zum Schreiben. Doch der Leser weiß schon bald, dass dies lediglich Tarnung ist. Denn Maria ist ständig auf der Hut und spinnt ein Lügennetz, um den Schein von Normalität zu wahren. Auch ihr Lebensziel hat sie sich neu gesteckt: ihren Hund Castor zu überleben. Mit diesem macht sie tagsüber stundenlange Spaziergänge durch die Heidelandschaft, während sie abends in den Aufzeichnungen ihres Ehemannes – eines Literaturprofessors und Schriftstellers – stöbert. Doch je mehr Struktur sie ihrem neuen, einsamen Alltag gibt, desto mehr fühlt sie sich von einem mysteriösen Beobachter verfolgt. Es deutet manches darauf hin, dass er etwas über sie und ihre Vergangenheit weiß. Und dann verschwindet eines Abends auch noch Castor …

Bewertung

Nesser versteht es, eine kühle Stimmung aufzubauen – sowohl durch die Beschreibung der Landschaft als auch durch das vielschichtige Psychogramm einer von emotionaler Kälte durchwobenen Hauptfigur. Wer Krimis mit einem konstanten Nervenkitzel bevorzugt, deren Handlungsstränge am Ende zusammengeführt werden, der könnte von diesem Buch enttäuscht werden. Nesser bedient zwar klassische Elemente des Thrillers/Krimis, nutzt diese aber nur als Rahmen für eine tiefer liegende, philosophische Ebene. Der einzige Mord der Geschichte geschieht sogar fast im Vorbeigehen – was ihn jedoch umso erschreckender macht. Eben dieses eher stumme und doch psychologisch detailliert herausgearbeitete Grauen verleiht dem Roman seinen Reiz. Die Geschichte lebt zudem von einem spannenden Wechsel zwischen verschiedenen Erzählebenen: den subjektiven Beschreibungen der Gegenwart durch die Ich-Erzählerin Maria, ihren Erinnerungen sowie den Aufzeichnungen ihres Mannes, die eine mehrere Jahre zurückliegende Vergangenheit aufleben lassen. Der Leser kann in diesen Ebenen selbst auf Entdeckungstour gehen, wie die Protagonistin es mit ihren täglichen Spaziergängen in der Heide vormacht. Ein fesselndes Buch über das Vergessen, das Überleben und Scheitern, das man mehr als einmal lesen kann.

Autor

Håkan Nesser ist ein 1950 geborener schwedischer Autor, der bereits mehrfach für seine Kriminalromane ausgezeichnet wurde. Er studierte an der Universität Uppsala die Fächer Soziologie, Englisch, Literaturgeschichte, Skandinavistik, Geschichte und Philosophie. Seine Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt und einige seiner Werke verfilmt worden. Håkan Nesser wird gerne auch als „Philosoph unter den schwedischen Krimiautoren“ bezeichnet.

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