„Nichts ist beständiger als der Wandel!“ – das stellte der griechische Philosoph Heraklit von Ephesos bereits vor über 2.500 Jahren fest und auch Herbert Grönemeyer singt „Bleibt alles anders“.
Alles unterliegt einem Wandel: sei es die Mode, das Wohninterieur, die Technik – und natürlich auch die Sprache. Sie ist ein wahres Chamäleon: Einerseits hat sich der deutsche Wortschatz über die Zeit durch Einbindung fremdsprachiger Einflüsse (Stichwort Anglizismen) erweitert, andererseits haben sich auch Änderungen innerhalb der deutschen Sprache ergeben. Viele dieser Änderungen sind der Internationalisierung und dem (technischen) Fortschritt geschuldet. Vor Jahrhunderten blieben die Menschen meist unter sich in ihrer Dorfgemeinschaft. Im Laufe der Zeit hat sich ein soziokultureller Wandel vollzogen und der Aktionsradius erheblich erweitert: Heutzutage fliegt man innerhalb weniger Stunden um den halben Globus oder trifft sich in Echtzeit zu einem Online-Meeting mit Teilnehmenden aus aller Welt, was neue, erweiterte Anforderungen an die Kommunikation stellt. Und jedes Jahr wird das Wort bzw. Unwort des Jahres gekürt – sozusagen als Abbild der momentanen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation.
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Ein „heißer Ofen“ steht nach Duden „salopp für einen Personenwagen mit sehr leistungsstarkem Motor, ein (schweres) Motorrad oder für eine weibliche Person von besonderer Attraktivität“. Zu früheren Zeiten hätte man darunter wortwörtlich einen gut befeuerten Ofen verstanden, eine Bedeutungsübertragung auf andere Gegenstände oder gar Personen hätte man nicht in Betracht gezogen. Hier wird vor allem der Einfluss des soziokulturellen sowie technischen Wandels deutlich.
Oder schlagen Sie im Duden das Adjektiv „scharf“ nach: Sie werden auf 21 Bedeutungen treffen, die teilweise noch in sich untergliedert sind.
Dann gibt es wiederum Wörter, die man nur im konkreten Kontext eingebettet richtig interpretieren kann. Das „Gericht“ kann „eine als Mahlzeit zubereitete Speise“, aber auch „die öffentliche Institution, die vom Staat mit der Rechtsprechung betraut ist“ sein. Oder denken Sie an den Begriff „Band“: Sie schlagen in einem Band der Duden-Sammlung nach, besinnen sich auf das Band der Freundschaft oder hören die Musik Ihrer Lieblingsband (wobei hier dann auch noch die Aussprache variiert). Bei manchen dieser lautgleichen Begriffe ändert sich sogar der Beugungsfall (sog. Kasus): Sie stehen auf dem Brocken im Harz oder Sie stehen auf den Brocken im Harz – sehen Sie den Bedeutungsunterschied? Im ersten Fall ist es die räumliche Sichtweise, dass Sie dort stehen (Dativ), im zweiten Fall sind Sie ein Brocken-Fan (Akkusativ).
Folgt Sprachwandel einer Gesetzmäßigkeit?
Tatsächlich lassen sich Gesetzmäßigkeiten beobachten. Hier ein paar davon:
Wörter, die wir häufig verwenden, kürzen wir. Beispiele sind „Morgen“ statt „Guten Morgen“, „Uni“ statt „Universität“. Warum, ist klar: Es soll eine höhere Sprachökonomie erreicht werden.
Kurze und häufig verwendete Wörter unterliegen eher einem Sprachwandel als seltener verwendete Begriffe. Die eingangs aufgeführten Beispiele „Gericht“ und „scharf“ gehören dazu.
Sprachlicher Wandel vollzieht sich langsam. Manchmal existieren die alte und neue Variante nebeneinander, bevor sich eine endgültig durchsetzt. Heute wird kaum noch jemand sagen: „Für diesen Schund gebe ich keinen Pfennig/Groschen aus.“ Denn seit der Umstellung auf den Euro tritt dieser Begriff hinter „Cent“ zurück (wobei dies auch wiederum davon abhängig ist, ob man die Währungsumstellung generationsbedingt miterlebt hat oder nicht).
Oft steht der Nutzen im Vordergrund. Was will ich mitteilen und wen möchte ich damit erreichen/überzeugen? Klingt das, was ich mitteilen möchte, gut? Nach diesen Kriterien richtet sich der Sprachwandel oft. Sehr anschaulich sieht man es wie folgt:
eimbar (althochdt.) → Eimer (neuhochdt.)
zimbar (althochdt.) → Zimmer (neuhochdt.)
Entscheiden Sie selbst, was leichter auszusprechen ist.
Der Sprachwandel kann reversibel (die ältere Sprachvariante kann wiederkehren und die neuere Sprachvariante weicht zurück, z. B. bei Modewörtern oder in der Werbesprache) oder irreversibel (die ältere Sprachvariante ist dauerhaft verdrängt worden) sein. Begriffe, die Eleganz und Hochwertigkeit widerspiegeln, erleben zurzeit eine Renaissance. Sicher haben Sie in einem Einrichtungskatalog schon einmal eine „Chaiselongue“ gesehen (eine gepolsterte Liege mit Kopflehne, nicht irgendeine 08/15-Couch). Was jedoch in der Versenkung verschwunden ist bzw. bald dort verschwinden wird, sind „das Fräulein vom Amt“ (die freundliche Dame von der Telefonvermittlung) samt „Wählscheibe“ (Sie wissen schon, das runde Ding mit zehn Löchern, bevor es Tastentelefone und Smartphones gab) oder der „Bandsalat“ (vielleicht gehören Sie noch zu den Unglücksraben, die regelmäßig mit Kugelschreiber oder Bleistift versucht haben, eine Musikkassette zu retten, nachdem diese sich im Kassettenrekorder verheddert hatte).
Bedeutungsverbesserung/-verschlechterung und sozial erwünschte Sprache
Oftmals gerät man bei Verwendung einiger Wörter in eine Sprachtabuzone, in der bestimmte Begriffe bewusst nicht ausgesprochen (sog. Rumpelstilzchen-Effekt), sondern eher umschrieben werden (sog. Euphemismus). Aber genau hier entsteht ein Teufelskreis: Ein umschreibendes Wort kann mit der Zeit ebenfalls eine negative Besetzung (Konnotation) erhalten und wird dann erneut durch ein anderes umschreibendes Wort ersetzt (sog. Euphemismus-Tretmühle). Das wird an folgendem Beispiel deutlich: Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die ersten „Gastarbeiterinnen/Gastarbeiter“ bzw. „Ausländerinnen/Ausländer“ nach Deutschland. Im Laufe der Zeit wurden diese Bezeichnungen als abwertend empfunden und zunehmend durch den Begriff „Migrantin/Migrant“ oder „Person mit Migrationshintergrund“ ersetzt. In den letzten Jahren hat nun auch die Umschreibung „mit Migrationshintergrund“ eine negative Assoziation erfahren im Sinne von „sozial auffällig“. Nun wird erneut nach einer politisch korrekten Umschreibung gesucht. Eine ähnliche Entwicklung kann man auch beim Wort „Behinderte“ beobachten: Hier verwendet man heute eher die Umschreibung „Menschen mit Beeinträchtigung“. Gerade Behörden und andere öffentliche Institutionen sowie Organisationen und (Werbe-)Agenturen müssen in ihren Publikationen und Kampagnen Fingerspitzengefühl beweisen, um niemanden verbal zu verprellen.
Auch im Berufsleben zeichnet sich eine solche Entwicklung ab. In Stellenausschreibungen sucht ein Unternehmen heute einen „Raumpfleger (m/w/d)“ oder einen „Gebäudemanager (m/w/d)“, weil es schlicht und ergreifend als abwertend empfunden wird, von einer Putzfrau oder einem Hausmeister zu sprechen. Ähnlich verhält es sich mit den Berufsbezeichnungen „Medizinische Fachangestellte“ (früher „Arzthelferin“) oder „Haarstylistin“ (früher „Friseuse“).
Umgekehrt gibt es auch Wörter, die sich zunächst in der Tabuzone befanden, um dann (z. B. durch die Werbung initiiert) im Sinne einer Bedeutungsverbesserung eine positive Konnotation zu erfahren, beispielsweise das Adjektiv „geil“, oft gesteigert zu „megageil“. Noch vor ein paar Jahrzehnten verpönt, da sexuell belegt, ist es heute kein Thema mehr, einen Werbeslogan wie „Geiz ist geil“ quer durch alle Medien zu verbreiten. Wobei wir es hier sogar mit einem Wort zu tun haben, das vor seiner Tabuisierung ursprünglich schon einmal positiv unterlegt war im Sinne von „üppig und nahrhaft“. Ein Wort, das man in der Werbesprache heute tunlichst umschifft, ist der Ausdruck „billig“. Von der früheren Bedeutung als „angemessen“ kam man über „preiswert“ zur herabsetzenden Bezeichnung „minderwertig“. Dieses Wort hat also eine Bedeutungsverschlechterung erfahren.
Je nach Kontext können bestimmte Wörter, die eigentlich positiv gedacht sind, eine negative Bedeutung erlangen, z. B. in ironischen Äußerungen wie „Du bist mir ja ein schöner Freund“, „Gestern haben wir es ordentlich krachen lassen“ oder „Na, dir werde ich helfen“. Schön und ordentlich ist hier ganz bestimmt nichts, und auf wohlgemeinte Hilfsbereitschaft wird letztere Person vergeblich warten. Und wer zu jemandem sagt „Was ziehst du denn für eine Visage?“, meint dies bestimmt nicht freundlich: Im Französischen als neutrale Bezeichnung für das Gesicht verwendet, hat dieses Wort im Deutschen durch wiederholte Verwendung in einem negativen Kontext ebenfalls eine negative Bedeutung erlangt.
„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ – Sprachwandel und Regelverletzungen
Sprachwandel macht auch vor den Regeln nicht halt. Was heute noch falsch ist, kann morgen schon richtig sein.
1. Man braucht nicht mehr „zu“ zu sagen
Sie haben bestimmt schon Sätze gehört wie „Du brauchst nicht kommen“ oder „Ich brauche das nicht lernen“. So wurde „brauchen“ früher nicht verwendet. Vollverben bilden stets den Infinitiv mit „zu“. Korrekterweise sagte man „Du brauchst nicht zu kommen“ bzw. „Ich brauche das nicht zu lernen“. Durch die „Umwandlung“ in ein Modalverb wurde das „zu“ regelrecht verschluckt (das betrifft beispielsweise auch die Wörter „müssen“, „dürfen“ oder „wollen“).
2. Die Sprache ändert sich, weil sie ist im Wandel …
Vor einiger Zeit noch bestellte man eine Pizza, „weil ich keine Zeit zum Kochen habe“. Heute bestellt man eine Pizza, „weil ich habe keine Zeit zum Kochen“. Das klingt zunächst ziemlich schräg, war aber in der deutschen Sprache zu früheren Zeiten durchaus üblich. Der Nebensatz wird zum Hauptsatz, was sich als weniger anstrengend erweist und somit auch der Sprachökonomie dient, jedoch nicht standardsprachlich ist.
3. Einfacher bitte!
Vereinfachungen sollen dabei helfen, schwierige grammatische Regeln zu umschiffen und die Sprachökonomie zu erhöhen.
Genitiv-Schwund im Deutschen:
Der Genitiv ist zunehmend vom Dativ verdrängt worden. Im gesprochenen Deutsch kann man laut Duden heute sowohl „Wegen dem Hund ist sie nicht in Urlaub gefahren“ als auch „Wegen des Hundes ist sie nicht in Urlaub gefahren“ sagen. Im schriftlichen Sprachgebrauch gilt die erste Variante trotzdem noch als umgangssprachlich. Oder man sagt „Das ist der Knochen von dem Hund“ statt wie üblich „Das ist der Knochen des Hundes“.
Indirekte Rede (sog. Konjunktiv I). Auch hier hat sich ein Wandel vollzogen. Nehmen wir folgendes Beispiel:
Sie sagt: „Ich komme zur Arbeit.“
Korrekterweise müsste das in indirekter Rede heißen:
Sie sagt, sie komme zur Arbeit. (Konjunktiv I)
Allerdings trifft man heute auch folgende Varianten an:
Sie sagt, sie kommt zur Arbeit. (Indikativ)
Sie sagt, sie würde zur Arbeit kommen. (Konjunktiv II)
Die letzten beiden Varianten werden sprachlich gesehen als einfacher empfunden und daher häufiger verwendet.
Einsparung des Dativ-e:
Folgendes (etwas überspitztes) Beispiel: „Auf dem Tische stand eine Flasche guten Weines. Er griff zum Glase und füllte es bis zum Rande.“ Dies klingt ziemlich gehoben und gestelzt. Üblicher ist eine Formulierung wie: „Auf dem Tisch stand eine Flasche guter Wein. Er griff zum Glas und füllte es bis zum Rand.“ Das Dativ-e zieht die Aussage in die Länge, was wiederum der Sprachökonomie abträglich ist.
Sprachliche Vereinfachungen werden seit einiger Zeit auch in Gestalt der Leichten und der Einfachen Sprache verwendet, um Menschen mit sprachlichen und kognitiven Beeinträchtigungen den Zugang zu komplexen Sachverhalten (z. B. juristischen oder medizinischen Themen) zu ebnen. Wesentliches Merkmal ist hier die Vereinfachung, aber unter Einhaltung grammatischer und orthografischer Regeln.
4. Doppelt gemoppelt
Oftmals trifft man auf Formulierungen, die Ausdrucksverstärkungen (Tautologien) oder eine überflüssige Häufung sinngleicher oder sinnähnlicher Wörter und Ausdrücke (Pleonasmen) aufweisen.
- „Es ist einzig und allein ihrer Einsatzbereitschaft zu verdanken, dass die Präsentation ein voller Erfolg war.“ (Ausdrucksverstärkung „einzig und allein“, denn einer der beiden Begriffe genügt.)
- „Der Computer fährt nicht hoch. Im Worst-Case-Fall müssen wir den Techniker verständigen.“ (Das englische Wort „case“ steht bereits für „Fall“.)
5. Aus 2 mach 1
Gerade in der Werbesprache sollen Slogans kurz und knackig sein. Hier schreibt man z. B. statt „Wir schicken Sie gleichzeitig in die Kur und in den Urlaub“ eine griffige Abkürzung wie etwa „Auf in den Kurlaub“. Das ist weniger sperrig und prägt sich obendrein bei der Leserschaft noch besser ein (genau das möchte man ja mit einem Werbeslogan erreichen).
6. Die Nacht, der Nacht, des Nachts?
„Er schlich des Nachts aus dem Haus.“ Was hier als Analogie zu „des Morgens“, „des Mittags“ und „des Abends“ gedacht ist, ist grammatisch eigentlich falsch, denn es ist „die Nacht“, aber „der Morgen“, „der Mittag“ und „der Abend“. Trotzdem hat sich diese Ausdrucksweise manifestiert.
7. Wortspiele und Werbesprache
„Bei Technikfragen Tech-Nick fragen“, „Da werden Sie geholfen“, „Ich habe fertig“ – orthografische oder grammatische Fehler in Wortspielen von Werbeslogans oder markanten Zitaten können dazu führen, dass diese Fehler vorübergehend als Sprachwandel-Effekte in das Sprachsystem gelangen.
8. Entschuldigung, wie war das noch mit der Entschuldigung?
Inzwischen ist es standardsprachlich geworden, „sich für etwas zu entschuldigen“. Das heißt, man ist in der aktiven Rolle, sich von einer Schuld freizusprechen. Früher jedoch wäre das undenkbar gewesen: Man bat das Gegenüber um Entschuldigung. Im Sinne der Sprachökonomie geht es jedoch schneller, wenn man „Ich entschuldige mich“ oder noch kürzer „Entschuldigung“ sagt.
Das Ende dieser Liste ist ganz bestimmt noch nicht erreicht. Denn wie gesagt: Der Wandel ist unaufhaltsam.
Buchtipp
Sascha Bechmann: Sprachwandel – Bedeutungswandel. Eine Einführung. © A. Francke Verlag 2016 Tübingen