Nutellagate – oder: wieso sich die Frage nach dem Artikel (nicht) beantworten lässt
Es ist Sonntagmorgen und die Familie sitzt am Frühstückstisch.
„Mama, kannst du mir bitte mal das Nutella geben?“
„Ja sicher, mein Schatz, hier hast du die Nutella.“
„Das!“
„Die!“
„Nein, das!“
Hä? Wer, wie, was denn nun? Schnell gesellt sich noch ein „der“ dazu und die allgemeine Verwirrung ist perfekt, alle schreien wild durcheinander und das Frühstück wird für beendet erklärt.
Dabei ist das mit den Artikeln doch ganz einfach. Oder etwa nicht? Für alles Weibliche gibt es den Artikel „die“, „der“ beschreibt Männliches und „das“ ist für alles, was nicht klar einem der beiden Geschlechter zugeteilt werden kann. Punkt! Mal sehen: die Mama – der Papa – die Tochter – der Sohn – der Junge – das Mädchen … Hoppla! So kommen wir also auch nicht weiter.
Warum tun wir uns mit den deutschen Artikeln so schwer?
Die Bestimmung des richtigen Artikels ist in 99,99 Prozent der Fälle willkürlich – kein Wunder also, dass das oftmals zu Verwirrung führt. Schauen wir uns doch mal an, woran das eigentlich liegt und was es bei der Wahl (falls es denn überhaupt eine gibt) des richtigen Artikels so alles zu beachten gibt.
Drei Genera (Geschlechter)
Im Deutschen gibt es drei grammatische Geschlechter (maskulin, feminin, neutral), während viele andere Sprachen entweder nur ein Geschlecht haben (wie das Englische, das keine geschlechtsbezogenen Artikel unterscheidet) oder maximal zwei (wie das Französische mit maskulin und feminin). Diese drei Genera haben keine einheitliche Logik, da das grammatische Geschlecht nicht gleich dem natürlichen ist. So ist das Mädchen neutral, obwohl es sich auf eine weibliche Person bezieht, der Tisch aber maskulin, auch wenn er kein „männliches“ Merkmal besitzt.
Für viele Substantive gibt es eben einfach keine offensichtliche Regel, die entsprechenden Artikel müssen leider (fast) immer mitgelernt werden. In einigen Fällen lässt sich das Genus allerdings anhand der Endung erkennen.
Beispiele für maskuline Substantive:
-er: der Charakter, der Sommer, der Fehler, der Eimer, der Körper
-ing: der Liebling, der Schmetterling, der Frühling, der Zwilling, der Säugling
-en: der Garten, der Wagen, der Hafen, der Kuchen, der Schaden
Beispiele für feminine Substantive:
-a: die Kamera, die Pizza, die Sauna, die Firma, die Agenda, die Villa
-e: die Lampe, die Blume, die Straße, die Katze
-ie: die Familie, die Energie, die Theorie, die Biologie
Im Übrigen werden durch die Verkleinerungsform (Diminutiv) mit den Endungen -chen und ‑lein aus maskulinen und femininen Substantiven immer Neutra:
die Katze > das Kätzchen
der Garten > das Gärtchen
die Frau > das Fräulein
der Tisch > das Tischlein
Es gibt natürlich noch mehr Endungen, die sich typischerweise einem Genus zuordnen lassen. Aber wie das im Leben immer so ist: Ausnahmen bestätigen die Regel! So enden der Papa und der Opa zwar auf das typisch feminine -a, sind aber maskulin, während die Feder und die Leber mit dem maskulinen -er liebäugeln, aber feminin sind.
Kasus (Fall)
Die deutsche Sprache hat vier Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ), die ebenfalls die Form des Artikels beeinflussen. In anderen Sprachen gibt es entweder weniger Fälle (wie im Englischen, das die Kasusmarkierung nicht durch die Artikel regelt, sondern über die Personalpronomen) oder die Kasus haben weniger Einfluss auf den Artikel. Jeder Fall erfordert eine spezifische Form des Artikels, was besonders komplex wird, wenn man gleichzeitig noch das Geschlecht beachten muss.
Nominativ | Akkusativ | Dativ | Genitiv |
der Mann | den Mann | dem Mann | des Mannes |
die Frau | die Frau | der Frau | der Frau |
das Kind | das Kind | dem Kind | des Kindes |
Im Plural dagegen unterscheiden sich die Artikel bei den drei Geschlechtern nicht.
Nominativ | Akkusativ | Dativ | Genitiv |
die Männer | die Männer | den Männern | der Männer |
die Frauen | die Frauen | den Frauen | der Frauen |
die Kinder | die Kinder | den Kindern | der Kinder |
Veränderung des Artikels durch den Kontext
Der Artikel eines Substantivs kann sich auch je nach grammatischem Kontext ändern, beispielsweise wenn Präpositionen hinzukommen, die bestimmte Fälle verlangen. Einige Präpositionen erfordern den Akkusativ (durch den Wald), andere den Dativ (mit dem Freund), und wieder andere Präpositionen können je nach Bedeutung entweder Akkusativ oder Dativ nach sich ziehen (in das Haus vs. in dem Haus).
Doppelformen und regionale Unterschiede
Es gibt eine Reihe von Substantiven im Deutschen, bei denen das grammatische Geschlecht variiert. Diese Variationen hängen oft von der Region, dem Sprachgebrauch oder bestimmten Bedeutungsunterschieden ab. Viele moderne Begriffe, insbesondere aus dem Englischen, haben zudem keine feste Zuordnung zu einem Geschlecht. Dadurch entstehen manchmal verschiedene Genusformen.
Beispiele:
- der/das Blog
- der/das Event
- der/das Ketchup
- der/das Virus
- die/das E-Mail: besonders in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz mit das
- der/das Joghurt: besonders in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz mit das
- der Teil: hier geht es um die Beziehung eines Teils zum Ganzen; das Teil: einzelnes Stück
- der See: ein Binnensee; die See: das Meer
- der Junge: ein männliches Kind; das Junge: ein Jungtier
- der Tor: ein Narr; das Tor: eine Öffnung, z. B. in einer Mauer, oder ein Treffer im Sport
Und wie ist das nun: Heißt es der, die oder das Nutella?
Es gibt keine offiziell „richtige“ Variante, und die Verwendung kann je nach Region oder persönlicher Vorliebe unterschiedlich sein. Die weibliche Form die Nutella wird oft in Anlehnung an „die Nuss-Nougat-Creme“ verwendet. Aber auch eine Ableitung von der aus dem Italienischen stammenden femininen Endung -ella ist möglich. Ebenso häufig wird die neutrale Form das Nutella verwendet, wie so oft bei Fremdwörtern, bei denen es nicht offensichtlich ist, ob sie feminin oder maskulin sind. Und auch wenn es nur selten (vor allem regionalsprachlich) vorkommt: Der Nutella hat auch seine Daseinsberechtigung.
Foto: Mikael Stenberg auf Unsplash