• 8. Januar 2025

Wie übersetzt man Redewendungen? Im wahrsten Sinne des Wortes.

Von Tim Peetz

Wie übersetzt man Redewendungen? Im wahrsten Sinne des Wortes.

Wie übersetzt man Redewendungen? Im wahrsten Sinne des Wortes. 750 499 Anne Fries
Redewendungen gibt es wie Sand am Meer. Im Alltag verwenden wir sie oft intuitiv, ohne groß darüber nachzudenken. Nehmen wir als Beispiel die berühmte deutsche Pünktlichkeit. Wenn man sich auf dem Weg zu einem Termin beeilt, um mit Ach und Krach noch die Bahn zu erwischen, tut man dies vermutlich mit dem Wissen, dass Pünktlichkeit hierzulande für viele das A und O ist. Sollte man trotz allem zu spät kommen, kann es durchaus passieren, dass jemand einem dafür einen Denkzettel verpasst oder die Leviten liest.

Sprichwort oder Redewendung?

Das Wörterbuch der deutschen Idiomatik umfasst über 18.000 solcher Redewendungen und Sprichwörter. Hier wird unterschieden: Bei Sprichwörtern handelt es sich in der Regel um vollständige Sätze, die meist eine lehrhafte Moral beinhalten. Eine Redewendung hingegen ist ein bildhafter Ausdruck, der Bestandteil eines Satzes ist. Als deutschen Muttersprachler*innen steht uns in unserem Sprachschatz eine Vielzahl an Redewendungen zur Verfügung – teils humoristisch, teils abstrakt, treffen sie oft direkt ins Schwarze und erlauben es uns, das Gesagte auszuschmücken und seine Bedeutung zu akzentuieren.

Hier liegt aber auch der Hund begraben: Der enthaltene Subtext und etwaige kulturelle Referenzen, die für Muttersprachler*innen vollkommen eindeutig und verständlich sind, stellen Übersetzer*innen vor eine Mammutaufgabe. Denn eine Redewendung mit all ihren Facetten korrekt in eine andere Sprache zu übersetzen, ist ein komplexes Unterfangen:

Schritt 1: Sinn der Redewendung erfassen

  • Die oftmals versteckte Bedeutung der Redewendung herausarbeiten
  • Prüfen, ob weiterer Subtext existiert

Schritt 2: Transfer in die Zielsprache

Methode 1
Suche nach einem Äquivalent in der Zielsprache, das den Sinn so exakt wie möglich wiedergibt (aber Achtung: Nicht immer sind die Bedeutungsebenen in beiden Sprachen deckungsgleich)

Methode 2
Existiert kein Äquivalent, kann die Redewendung in der Ausgangssprache belassen und ggf. eine erklärende Übersetzung in Klammern eingefügt werden

Methode 3
Sinngemäße Übersetzung, ohne in der Zielsprache eine Redewendung zu verwenden

Beispiel: Klar wie Kloßbrühe

Schauen wir uns als Beispiel für Methode 1 den Ausdruck „klar wie Kloßbrühe“ an.

Schritt 1
In diesem Fall handelt es sich um eine recht einfache Analogie, also ein Stilmittel, mithilfe dessen eine Idee oder Sache erklärt wird, indem man sie mit etwas Vertrautem vergleicht. Die Intention hinter dieser Analogie ist naheliegend – es soll verdeutlicht werden, dass ein Sachverhalt ebenso klar ist wie die genannte Kloßbrühe.

Schritt 2
Nun kann in der Zielsprache, z. B. im Englischen, nach einer ähnlichen Analogie gesucht werden. Hier gibt es einen bunten Strauß an passenden Wendungen:

(as) clear as day
(as) plain as the nose on your face
(as) plain as a pikestaff
(as) sure as eggs is eggs

Nicht alle diese Varianten werden in englischsprachigen Ländern in gleichem Maße genutzt. Während die ersten beiden recht universell einsetzbar sind, finden die letzten beiden eher im britischen Englisch Verwendung. Auch sind einige etwas altmodischer als andere. Alternativ gibt es noch den Ausdruck „crystal clear“, der sich einer Metapher statt eines Vergleichs bedient und auf die Transparenz eines Kristalls verweist.

Spannend ist: Im Englischen gibt es auch eine Variante, die eine ironische Interpretation der Redewendung wiedergibt – sie lautet „(as) clear as mud“. Hier wird der vorher bereits erwähnte Subtext deutlich. Denn anders als im Deutschen, wo sich die Ironie in diesem Fall eher durch den jeweiligen Kontext (oder in der gesprochenen Sprache durch die Intonation) ausdrücken würde, existieren im Englischen zwei Varianten, je nach Lesart: „(as) clear as day“ und „(as) clear as mud“. Soll also auf ironische Art und Weise ausgedrückt werden, dass etwas völlig unklar ist, würde man sich letzterer Variante bedienen.

Beispiel: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei

Wenn die Redewendung selbst Thema des Textes ist oder wenn ein Lokalkolorit beabsichtigt ist – sprich, wenn nicht standardsprachliche Wörter und Wendungen unübersetzt bleiben, um ihren lokalen Charakter und dessen Besonderheit hervorzuheben –, kann die Redewendung auch auf Deutsch belassen werden (Methode 2). Ein Beispiel hierfür ist der Ausdruck „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“. Auch hier kann wieder die Zwei-Schritte-Methode angewendet werden:

Schritt 1
Diese Redensart bietet eine humorvolle Perspektive auf die Tatsache, dass alles irgendwann zu Ende gehen muss. Sie spielt auf die deutsche Esskultur und Liebe zur Wurst an und ist hierzulande sehr verbreitet und verständlich.

Schritt 2
Anders sieht es jedoch im Englischen aus. Die Redewendung ist wortwörtlich nicht übertragbar, denn „Everything has an end, only the sausage has two“ wäre für englische Muttersprachler*innen kaum verständlich. Ein Äquivalent wäre „All good things must come to an end“, allerdings fehlt hier der kulturelle Bezug zur Wurst. Möchte man genau diesen aber hervorheben, sollte der Ausdruck daher am besten auf Deutsch belassen werden.

Ob dann noch ein erklärender Zusatz in Klammern folgt, muss von Fall zu Fall entschieden werden und liegt nur bedingt im Ermessen des Übersetzers oder der Übersetzerin. Oft haben dann noch der Verlag, der Autor oder die Autorin oder andere Instanzen ein Wörtchen mitzureden.

Fazit

Eines ist allerdings so sicher wie das Amen in der Kirche: Redewendungen zu übersetzen, ist eine Kunst für sich und erfordert viel Fingerspitzengefühl und kulturelles Einfühlungsvermögen – sowohl hinsichtlich der Ausgangs- als auch der Zielsprache. Doch wenn es gelingt, kann eine punktgenau übersetzte Redewendung mehr sagen als tausend Worte.

Foto: N Band auf Unsplash

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