Für Nicht-Muttersprachler gilt das Erlernen der deutschen Sprache, etwa im Vergleich zur englischen oder spanischen, allgemein als schwierig. Das liegt vor allem an der ziemlich komplexen deutschen Grammatik. Eine wirkliche Besonderheit des Deutschen ist die Bildung neuer Gesamtbegriffe durch das Zusammensetzen verschiedener Einzelwörter – fachsprachlich nennt man ein solches Wort Kompositum.
Komposita im Deutschen
Fremdsprachen wie Spanisch und Englisch bilden Komposita oft, indem Substantive einfach nebeneinandergestellt (management board, teenage slang) werden oder mithilfe von Präpositionen (mit oder ohne folgenden Artikel) (dirección de la empresa) oder auch durch die Verbindung von Substantiv und folgendem Adjektiv (lenguaje juvenil). Das Deutsche dagegen ist bekannt dafür, mehrere Wörter zu einem zusammengeschriebenen Wort zu verbinden (im Falle der eben genannten Beispiele sind das die Geschäftsführung und die Jugendsprache).
Der sogenannten Produktivität der deutschen Wortbildung, also der Fähigkeit, auf Basis von zugrunde liegenden sprachlichen Mustern aus verschiedenen Wörtern neue Wörter zu bilden, sind hierbei kaum Grenzen gesetzt.
Die häufigsten Zusammensetzungen finden wir bei den Wortarten
- Verb + Substantiv (essen + Tisch = Esstisch, abbiegen + Spur = Abbiegespur),
- Präposition + Verb (nach + sagen = nachsagen, um + werfen = umwerfen),
- Adjektiv + Adjektiv (hell + blau = hellblau, tief + traurig = tieftraurig),
- Substantiv + Adjektiv (Umwelt + freundlich = umweltfreundlich, Herz + krank = herzkrank),
- Adjektiv + Verb (schwarz + malen = schwarzmalen, schön + reden = schönreden),
- Adjektiv + Substantiv (kühl + Schrank = Kühlschrank, neu + Wert = Neuwert),
- Adverb + Substantiv (abwärts + Trend = Abwärtstrend, links + Verkehr = Linksverkehr),
- Präposition + Substantiv (mit + Verantwortung = Mitverantwortung, nach + Tisch = Nachtisch) sowie
- Substantiv + Substantiv (Wohnung + Markt = Wohnungsmarkt, Apfel + Baum = Apfelbaum).
Die letzte Gruppe „Substantiv + Substantiv“ soll in diesem Beitrag nun einmal näher betrachtet werden. Welche Probleme können sich bei dieser Art der Wortbildung für Schreibende und Lesende ergeben? Und wann ist es sinnvoll, einen oder mehrere Bindestriche zu verwenden?
Die Verbindung mehrerer Substantive zu einem neuen Gesamtbegriff
Der Zusammensetzung aus verschiedenen Substantiven sind im Deutschen formal keine Grenzen gesetzt. Das heißt, ein neuer Gesamtbegriff ist nicht auf zwei Bestandteile wie in unseren obigen Beispielen limitiert, sondern kann aus noch mehr Komponenten zusammengesetzt werden.
Unser Apfelbaum trägt Apfelbaumblüten, die so schön sind, dass man im Frühjahr in der Dorfgemeinschaft gerne ein Apfelbaumblütenfest veranstalten möchte. Und dazu braucht es natürlich auch einen Apfelbaumblütenfestveranstalter, und der wird einen geeigneten Apfelbaumblütenfestveranstaltungsort auswählen, wobei die Apfelbaumblütenfestveranstaltungsortauswahl keine leichte ist. Denn die Apfelbaumblütenfestveranstaltungsortauswahlkritiker lauern bereits und haben immer etwas auszusetzen.
Aus unseren zwei Nomen in Apfelbaum ist plötzlich ein Wortungetüm aus insgesamt acht Einzelwörtern geworden (wobei man auch neun finden kann, wenn man die Auswahl auch noch mal in aus + Wahl zerlegt) – da kann auch der beste Vorleser schon mal ins Stolpern kommen.
Eine Obergrenze für diese „Kompositionen“ gibt es formal nicht, Grenzen zeigen hier eher die Nachvollziehbarkeit und die Lesbarkeit eines Begriffs auf. Für die Lesbarkeit einer sehr langen oder wegen der Anordnung ihrer Bestandteile missverständlichen Zusammensetzung haben wir im Deutschen ein praktisches Gestaltungswerkzeug: den Bindestrich.
Der Bindestrich zur besseren Lesbarkeit eines Kompositums
Unser Riesenwort könnten wir mithilfe von Bindestrichen in einzelne Segmente zerlegen. Hierbei kommt es auf die sogenannte Semantik an, also darauf, welche Bestandteile des komplexen Kompositums sich von der Bedeutung her näher stehen als andere.
Der Apfelbaum ist ohne Weiteres erfassbar, die Apfelbaumblüten bereiten dem Leser auch keine Probleme. Das Apfelbaumblütenfest besteht immerhin schon aus 19 Buchstaben und könnte entsprechend seinen semantischen Teilen in Apfelbaumblüten und Fest zerlegt, also Apfelbaumblüten-Fest geschrieben werden. Dem Leser springt der letzte Bestandteil Fest sofort ins Auge, und er weiß durch dieses herausgestellte Grundwort gleich, worum es hier geht: ein Fest anlässlich der Apfelbaumblüte. Genauso lässt sich das noch längere Wort Apfelbaumblütenfestveranstalter zerlegen. Je nachdem, welche Bestandteile man als näher zusammengehörend betrachtet, könnte man Apfelbaumblütenfest-Veranstalter oder Apfelbaumblüten-Festveranstalter oder Apfelbaumblüten-Fest-Veranstalter schreiben. Empfehlenswert sind hier die erste und die dritte Version, da die semantische Gliederung hier „übersetzt“ einmal Veranstalter eines Apfelbaumblütenfests und einmal Veranstalter eines Fests anlässlich der Apfelbaumblüte bedeutet. Das monströse Wort Apfelbaumblütenfestveranstaltungsortauswahlkritiker könnte von den Einzelbedeutungen her in Apfelbaumblütenfest-Veranstaltungsortauswahl-Kritiker zerlegt werden, was aufgeschlüsselt Kritiker der Veranstaltungsortauswahl für das Apfelbaumblütenfest heißt.
Der Bindestrich ist also das Werkzeug, mit dem wir bei sehr langen Wörtern für optische Ordnung und klare Zuordnung von Sinnzusammenhängen sorgen können. Komposita, die aus weniger als vier einzelnen Bestandteilen bestehen, kann man zur Hervorhebung oder um Übersichtlichkeit herzustellen, mit einem Bindestrich gliedern. Bei Verbindungen ab vier Einzelwörtern empfiehlt der Duden, einen Bindestrich zu setzen. Doch nicht nur Übersichtlichkeit kann dieser Strich herstellen, sondern auch Missverständnissen vorbeugen.
Der Bindestrich zur Vermeidung von Missverständnissen
Ein weiterer Fallstrick beim Lesen der deutschen Sprache sind formal identisch geschriebene Wörter, die aber ganz verschiedene Bedeutungen haben. Lesen wir in einem Text Die Hochzeit der Tennisstars Steffi Graf und Andre Agassi war in den 90ern, werden die meisten Leser an die Eheschließung des Tennispärchens denken. Die war aber erst 2001. Gemeint sein kann dann eigentlich nur die Blütezeit ihrer Karriere. Hätte dort gestanden Die Hoch-Zeit der Tennisstars Steffi Graf und Andre Agassi war in den 90ern, wäre dieses Missverständnis gar nicht aufgekommen. Zerlegt man also die beiden Bestandteile, sorgt man für eine klare Sinngliederung.
Bei der Schlagzeile Fluchende „Vizekusen“ könnte es sich um Leverkusener Fußballprofis handeln, die fluchen. Dass hier aber das Durchbrechen des Fluchs gemeint ist, der über der Mannschaft von Bayer 04 Leverkusen lag, die über zig Jahre in sämtlichen Wettbewerben nie den ersten Platz einfahren konnte, wird auf Anhieb nur deutlich, wenn man Fluch-Ende „Vizekusen“ schreibt.
Handelt es sich bei Zaubererhaltung um das Halten von domestizierten Zauberern (Zauberer-Haltung) oder soll hier der Zauber erhalten (Zauber-Erhaltung) bleiben? Ohne Kontext weiß man beim Nachtritt des Pferdes nicht, ob das Tier nachts unterwegs war (Nacht-Ritt) oder ob es noch einmal nachgetreten hat (Nach-Tritt). Der Bindestrich lässt keinen Zweifel.
Der Bindestrich markiert somit die sogenannte Fuge bei einem zusammengesetzten Begriff, das heißt die Grenze zwischen dem Ende des ersten und dem Beginn des zweiten Worts des Kompositums. Bei der Zusammenschreibung ist die Fuge wie eine unsichtbare Naht, die der Bindestrich sichtbar macht.
Nicht abtrennen sollte man eigentlich Wortteile, die formal gesehen selbst kein eigenständiges Wort darstellen. Die Mitmachaktion beispielsweise begegnet einem recht häufig bei Werbekampagnen und wird dort bevorzugt Mitmach-Aktion geschrieben, wohl damit dem (potenziellen) Kunden sofort die Aktion ins Auge springt und er weiß, dass er hier zu etwas animiert werden soll. Nach Duden ist diese Schreibweise streng genommen nicht korrekt, da mitmach eben kein eigenständiges Wort darstellt, sondern mitmachen. Übrig geblieben ist hier nur der Wortstamm, da die Infinitivendung ‑en bei dieser Art der Wortbildung für gewöhnlich wegfällt.
Der Bindestrich bei drei gleichen Buchstaben in Folge
Ein weiteres Feld, bei dem der Duden ausdrücklich die Bindestrichschreibweise erlaubt bzw. empfiehlt, ist das Aufeinandertreffen dreier identischer Buchstaben.
Man darf ebenso Schifffahrt schreiben wie Schiff-Fahrt und ebenso Seeelefant wie See-Elefant, wobei der Duden bei drei identischen Konsonanten die Zusammenschreibung präferiert, bei drei identischen Vokalen aber die Bindestrichschreibweise. Um auch in diesen beiden Fällen die Wortgrenze unmissverständlich zu markieren und dem Auge das Lesen zu erleichtern, darf man sich also auch hier des Werkzeugs Bindestrich bedienen. Doch aufgepasst: Kommt nun noch eine weitere Komponente hinzu, muss der sogenannte Hauptsinneinschnitt berücksichtigt werden. Fügen wir unserem Seeelefanten also noch die Komponente Becken hinzu, dürfen wir nicht See-Elefantenbecken schreiben, da es ja kein Elefantenbecken in der See sein soll, sondern ein Becken für Seeelefanten, also ein Seeelefanten-Becken. Alternativ können hier auch zwei Bindestriche gesetzt werden: See-Elefanten-Becken.
Der Bindestrich bei Substantivverbindungen mit einem Eigennamen
Ein sehr verbreiteter Bereich der substantivischen Zusammensetzungen ist die Verbindung aus einem Substantiv mit einem Eigennamen oder umgekehrt. Ob Straßen-, Institutions- oder Gebäudenamen, ob Titel für kulturelle Veranstaltungen oder geographische Bezeichnungen – mit vielen Arten von Eigennamen können im Deutschen neue Substantivverbindungen erschaffen werden.
Fritz fährt morgens mit dem Schulbus bis zum Bismarck-Platz und muss von dort aus noch zwei Blocks bis zum Einstein-Gymnasium laufen. Dort interpretiert er dann mit seinen Mitschülern in der ersten Stunde Schiller-Gedichte, bevor sie in Musik Auszüge aus einer Verdi-Oper anhören. Nach der ersten großen Pause geht es dann weiter mit Physik, wo sie sich aktuell mit den Röntgenstrahlen beschäftigen, und anschließend steht Geschichte an, wo die drei Golfkriege Thema sind. Auf Stunde fünf und sechs freut Fritz sich am meisten: Doppelstunde Kunst. Diese Woche sollen die Kinder ein Bild malen, dessen Vorbild die Monet-Seerosen aus dem Giverny-Garten sind.
Prinzipiell gilt: All diese Beispiele ließen sich auch zusammenschreiben. Koppeln kann man, wenn man den Eigennamen besonders hervorheben möchte. Die Golfkriege und die Röntgenstrahlen aber sollte man zusammenschreiben, weil sie lexikalisiert sind, also im Duden stehen, und feste Ausdrücke sind. So beispielsweise auch die Litfaßsäule oder der Dieselmotor – diese Begriffe und ihre Bedeutung sind jedem ein Begriff, aber nicht jeder weiß, dass diese Werbesäule vom Drucker Ernst Litfaß und diese Art von Motor von Rudolf Diesel erfunden wurde. Erfinder und Erfindung sind so sehr miteinander verschmolzen, dass der Gesamtbegriff zusammengeschrieben wird.
Der Bindestrich bei englischen Substantivverbindungen
Ein weiterer Fall, bei dem es sinnvoll ist, einen Bindestrich einzufügen, sind Substantivzusammensetzungen, die ein Fremdwort beinhalten. Keine andere Sprache hat sich so sehr im Deutschen ausgebreitet wie die englische. Zig englische Wörter oder Begriffsverbindungen wurden inzwischen in den Duden aufgenommen und sind damit offiziell Teil des deutschen Wortschatzes. Der größte Teil dieser Wörter entspringt den Bereichen (Konsum-)Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Mode.
Ob wir ein Baby erwarten, uns eine neue Jeans mit passendem Blazer kaufen wollen, morgen ein Meeting haben, gelangweilt durch die Programme zappen, unseren Hobbys nachgehen, ein Interview lesen, Lifesciences oder International Management studieren, zu einem Date gehen oder etwas hip, cool, strange oder tricky finden – unzählige englische Wörter sind fester Bestandteil unserer Alltagssprache geworden.
Viele aus zwei englischen Substantiven zusammengesetzte Begriffe sind so geläufig und von ihrer Länge her so übersichtlich, dass sie zusammengeschrieben werden sollten, z. B. Teamwork, Jackpot, Laptop, Flipchart, Lifestyle, Deadline oder Eyecatcher.
Handelt es sich um längere Wörter oder um Wörter, an deren Grenze Vokale aufeinandertreffen, kann zur besseren Lesbarkeit und Übersichtlichkeit auch hier ein Bindestrich gesetzt werden, etwa bei Homeoffice/Home-Office, Gamechanger/Game-Changer, Showbusiness/Show-Business oder Shoppingcenter/Shopping-Center. Die vom Duden empfohlene Schreibweise ist bei diesen Beispielen jedoch die Zusammenschreibung.
Bei einer ganzen Reihe von substantivischen Verbindungen präferiert der Duden hingegen die Schreibweise mit einem Bindestrich, lässt aber ebenso die Zusammenschreibung zu: Assessment-Center/Assessmentcenter, Change-Management/Changemanagement, Desktop-Publishing/Desktoppublishing, Cloud-Computing/Cloudcomputing u. v. m.
Festhalten lässt sich: Relativ kurze Verbindungen, deren einzelne Bestandteile für das Auge gut erfassbar und unterscheidbar sind, sollten zusammengeschrieben werden. Insgesamt herrscht bei rein englischen Substantivkomposita aber allgemeine Wahlfreiheit, ob man sie zusammenschreiben oder mit einem strukturierenden Bindestrich versehen möchte. Falsch sind nach Duden einzig und allein die Kleinschreibung und die Schreibung in zwei Wörtern ohne verbindenden Strich dazwischen.
In unserem Arbeitsalltag begegnet es uns jedoch oft, dass bei uns eingereichte Texte, die lektoriert werden sollen, von englischen Substantivkomposita wimmeln, die weder zusammengeschrieben noch mit einem Bindestrich versehen sind. Hier möchte der Verfasser oft die jeweiligen englischen Komponenten fürs Auge gut erfassbar einzeln stehen lassen, sie also keinesfalls (unübersichtlich) zusammenschreiben, doch auch Bindestriche sind unerwünscht, da sie in ihrer dann extremen Häufung als optisch störend wahrgenommen werden. Hier hat der Kunde natürlich das letzte Wort. Und wir korrigieren dann lediglich die Orthografie im engeren Sinne, also auf Buchstabenebene, und bessern die bei Substantiven im Deutschen unumgängliche Großschreibung ein, sofern die Wörter vom Texter kleingeschrieben wurden. Besteht der Kunde auf der englischen Kleinschreibung, widerspricht dies so sehr deutschen Grammatikregeln, dass die Wörter nicht mehr als in den Text integriert angesehen werden können und als „Fremdkörper“ entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Hier leistet die Kursivschreibung Abhilfe oder man setzt diese fremden Wörter in Anführungszeichen.
Unerlässlich aber ist das Setzen des Bindestrichs, wenn ein Gesamtbegriff aus einem englischen Substantiv und einem deutschen Wort gebildet wird. Die Adventure Reise ist ebenso falsch wie das Reise Adventure – hier lassen wir als Lektorinnen nicht mit uns verhandeln. 😉
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