Warum es „das“ Englische nicht gibt

Einmal ins Englische übersetzen, bitte!

Englisch. Spricht jeder, kann jeder. Doch ist Englisch gleich Englisch? Den meisten ist bekannt, dass es einige Unterschiede zwischen britischem und amerikanischem Englisch gibt. Und doch ist die Annahme, es gäbe das eine, universelle Standardenglisch, das sich am Ende der Übertragung eines Textes aus der Quellsprache formvollendet manifestiert, gar nicht mal so selten. Diese Annahme gegenüber der Welt- und Wirtschaftssprache Englisch ist an sich berechtigt – und geht doch zugleich fehl. 

Oot and aboot – die Frage nach dem „Welt-Englisch“

Im Jahr 2021 besteht rein statistisch die Chance, von jedem Sechsten, den man auf Englisch anspricht, auch eine verständliche Antwort auf Englisch zu erhalten. Schließlich sprechen laut aktuellen Erhebungen etwa 1,268 Milliarden [1] der rund 7,8 Milliarden Bewohner dieser Erde [2] Englisch als Erst- oder Zweitsprache. Diese Menschen haben Englisch mit der Muttermilch aufgesogen oder es neben ihrer Muttersprache fließend sprechen gelernt. Zählt man auch noch diejenigen dazu, denen Englisch als Fremdsprache vermittelt wurde, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, jemandem zu begegnen, der Englisch versteht und auf Englisch (nicht zwangsläufig verständlich) antwortet, noch einmal deutlich.

Die Vermutung, es gäbe das Englisch, das alle gleichermaßen sprechen und verstehen – quasi ein „Welt-Englisch“ –, liegt bei dieser bemerkenswerten Zahl an Englischsprechern also nahe. Schließlich würden so doch alle, die Englisch sprechen, erreicht. Eine Übersetzung in ebendiese Variante sollte doch das Leichteste und vor allem Sinnvollste sein, um ein größtmögliches Publikum zu erreichen. Weit gefehlt: Hinter den vielen Sprechenden verbergen sich auch ebenso viele Kulturen, die bis heute unterschiedliche Einflüsse auf die Sprache haben. [3]

Von den Kolonialherren über die Globalisierung hin zum Internet

Die Briten haben seit dem 16. Jahrhundert [4] praktisch überall auf der Welt Spuren hinterlassen – auch in Form ihrer Sprache. Galt Englisch zunächst als „Lingua franca“ (Kontaktsprache) beim Handel, führten es die Kolonialherren schon bald als Amtssprache in den Kolonien weltweit ein. Für Sklaven und Ureinwohner zum Beispiel führte kein Weg daran vorbei. Gleichwohl sprechen wir hier nicht von einer Einbahnstraße. Spracheinflüsse funktionieren in beide Richtungen. [5]

Die Globalisierung, die Wirtschaft und das Internet haben nicht zuletzt dazu geführt, dass die Menschheit immer enger zusammenrückt und eine Kontaktsprache heute nötiger ist denn je – Geschichte wiederholt sich eben doch immer. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Aussprache sich leicht unterscheidet, die Schreibweise [6] einzelner Wörter abweicht (labor vs. labour, center vs. centre) oder die Grammatik anders ist (I already visited her vs. I’ve already visited her) – verstanden wird man in den meisten Fällen. Kommunikation ist also möglich.

Ist ähnlich also nah genug? Oder ist Gleiches doch nicht so gleich?

Von einem „Welt-Englisch“ zu sprechen ist allerdings problematisch, wenn man sich folgendes Beispiel ansieht: Wenn Poppy (73) aus Gloucester aufgeregt ruft, ihre Enkelin sei zum Kreisverkehr gerannt (She had run off in the direction of the roundabout), sollte Woody (34) aus New Orleans, der zu Besuch ist und die Kleine schnell zurückholen soll, nicht verstehen, sie sei zum Karussell gerannt. Dann wird nämlich eine bedrohliche Lage vermeintlich harmlos. Denn sowohl im AmE als auch im BrE gibt es den Begriff roundabout, er wird aber unterschiedlich verwendet.

Wir stellen fest: Eine einheitliche Nutzung von Sprache wäre von Vorteil. Wir lernen Standard English vermutlich in der Schule als Fremdsprache, die Nachrichten und (Print-)Medien in den meisten englischsprachigen Regionen informieren die Bevölkerung in dieser Variante, und in Ländern, in denen Englisch nur eine von vielen Amtssprachen ist (bspw. Indien), kommt man hierdurch auf einen gemeinsamen Nenner. [7] Aber was macht das mit jenen Gruppen, die diesen Standard nicht bedienen können?

Reglement nach Lehrbuch vs. Heterogenität der Sprecher

Die Standardisierung einer Sprache übt immensen Druck auf ihre Dialekte und Varietäten aus, sodass diese sogar verschwinden können. [8] Dieses Phänomen ist allerdings nicht bloß im Englischen zu beobachten. Beispielsweise ist in Frankreich die staatliche Académie Française für die Standardisierung zuständig, in Deutschland gibt es den Rat für deutsche Rechtschreibung (RfdR) und im englischsprachigen Raum haben diese Funktion vor allem Wörterbücher und Grammatiken einiger traditioneller Bildungsinstitutionen (Oxford, Cambridge) übernommen. [9]

Was bedeutet das aber nun für alle, die einen Dialekt (oder Ähnliches) sprechen? Nicht jeder englische Muttersprachler auf der Welt fühlt sich vom „lupenreinen“ Standard English repräsentiert oder von der Aussicht auf ein einheitliches „Welt-Englisch“ angesprochen. Zwei Beispiele:

In der Karibik erfährt man ein ethnisches Gemenge sondergleichen. Jahrhunderte der Kolonialisierung und des Sklavenhandels, vor allem der Briten, Franzosen, Spanier und Niederländer, haben – auch sprachlich – eine äußerst heterogene Bevölkerung hinterlassen. [10] Englisch (sowie die anderen standardisierten Sprachen der Kolonialgeschichte) wird hier nur am Rande gesprochen. Kommuniziert wird, auch auf offizieller Ebene, in Kreol- und Pidgin-Varianten.

Pidgin ist in der Linguistik eine Sprachvariante, die sich als Kontaktsprache aus verschiedenen Sprachen entwickelt hat und stark vom Sprachstandard abweicht – im Gegensatz zum Kreolischen gibt es hier allerdings keine Muttersprachler. [11] Kreolisch ist für die meisten Muttersprachler ein Ausdruck ihrer Ethnie und auch der langen (Leidens-)Geschichte ihrer Vorfahren.

Gleiches gilt beispielsweise für Teile der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA: Geprägt von der Sprache der afrikanischen Sklaven wird das African American Vernacular English (AAVE) vor allem in der immer noch andauernden Rassismus-Debatte in den Vereinigten Staaten im Rahmen der „Black Lives Matter“-Bewegung neben dem Ausdruck der Zugehörigkeit auch zum Kennzeichen des Protests. [12]

Sprache ist also auch ein wichtiger kultureller Marker. So verständlich der Wunsch nach einem Text mit der größtmöglichen Reichweite (also dem allgemeingültigsten Verständnis) ist – man muss auch anerkennen, dass gewisse Varietäten aus einem speziellen Grund existieren. Werden gewisse Gruppen aber auf Grundlage des Wunsches nach Allgemeingültigkeit nicht direkt angesprochen, kommt dies oft einem Ausschluss gleich.

In Zeiten gesellschaftlicher Mobilität und kosmopolitischer Lebensweise wird es immer schwieriger, sich seiner kulturellen Wurzeln bewusst zu sein. Sprache bietet einen Ankerpunkt, und Sprachvarianten, werden sie auch von einer noch so kleinen Minderheit gesprochen, sollten nicht als „minderwertig“ betrachtet werden, nur weil sie einem Standard nicht entsprechen.

Weltoffenheit und kulturelles Fingerspitzengefühl

Zum Glück befinden wir uns hier nicht im Bereich von universeller „Schwarz-Weiß-Malerei“, in der es lediglich die Wahl zwischen Standard English oder harschen, für niemanden außerhalb der eigenen Gemeinschaft verständlichen Dialekten gibt. Wachsende Bildungschancen und gesellschaftliche Mobilität führen auch vermehrt zu bi- oder multilingual aufwachsenden Menschen, die kein Problem beim Codeswitching haben. Vielleicht wäre das der bessere Ansatzpunkt – statt nach „Welt-Englisch“ zu fragen, sich lieber „weltmännisch“ zu geben, wenn es um Übersetzungen geht.

So wie es also nicht den Englischsprechenden gibt, kann es auch nicht die Übersetzung ins Englische geben. Wer einen Text adäquat übersetzen soll, bedarf über das Manuskript hinaus stets einiger weiterer Informationen: Wer soll sich angesprochen fühlen? Wer ist also die Zielgruppe? Handelt es sich um eine sehr spezifische Gruppe, ist sie relativ homogen oder ist sie heterogen? Welcher Ton, welche Terminologie ist sinnvoll, um die gewünschte Resonanz zu erzielen? Hinter jeder gelungenen Übersetzung verbergen sich immer auch die Intuition und das kulturelle Fingerspitzengefühl des Übersetzers.

1 Eberhard, David M. [et al.]. Ethnologue: Languages of the World, 2020.
2 Oltmer, Jochen. „Folgen des Bevölkerungsanstiegs für die weltweiten Migrationsverhältnisse“. BpB, 6. Februar 2020.
3 Stand 2016: „Die englische Sprache ist nach Angaben des Auswärtigen Amtes in 57 Staaten Amts- und/oder Landessprache. Hinzu kommen die britischen Überseegebiete sowie die Gebiete, die unmittelbar der englischen Krone unterstehen – auch dort gilt Englisch als Amts- und/oder Landessprache“. Aus „Weltsprache“. BpB, 4. Juli 2017.
4 “British Empire”. The Editors of Encyclopaedia Britannica, Encyclopædia Britannica, 1. Dezember 2020.
5 Man denke an kindergarten aus dem Deutschen oder moccasin als Begriff aus einer Sprache der US-amerikanischen Ureinwohner.
6 Obwohl die Schreibweise einzelner Begriffe die jeweilige Bedeutung im AmE und BrE ändern kann (vgl. program vs. programme), wird dieser Aspekt hier vernachlässigt, da die korrekte Bedeutung meist aus dem Kontext gezogen werden kann. Dennoch lässt sich manchmal aus der gewählten Schreibweise ein Rückschluss zur Zugehörigkeit oder Affinität ziehen. So findet man in CanE eher die Tendenz zu BrE-Schreibweisen (metre, colour). Für den Teil des Commonwealth of Nations (Verbund ehemaliger britischer Kolonien) wird hier eine Abgrenzung zu den USA deutlich. Vgl. Melchers [et al.]. World Englishes, S. 92.
7 Trudgill in Wardhaugh, Introduction to Sociolinguistics, S. 31/32.
8 Wardhaugh, Introduction to Sociolinguistics, S. 35.
9 Wardhaugh, Introduction to Sociolinguistics, S. 35/36.
10 “West Indies”. Brereton, Bridget M. und Colin Graham Clarke, Encyclopædia Britannica, 9. November 2020.
11 Wardhaugh, Introduction to Sociolinguistics, S. 63.
12 Melchers [et al.]. World Englishes, S. 84.

Bibliography

Titelfoto: Polina Zimmerman on Pexels

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