• 2. Februar 2017

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert

Buchtipp von Alexandra Brundiers

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert 750 500 Anne Fries

Inhalt

Aleksandar ist ein fantasievoller Junge, der zusammen mit seinem Opa Geschichten über Geschichten erfindet. Als jüngster Spross einer Großfamilie erlebt er zunächst eine unbeschwerte Kindheit in der kleinen Stadt Višegrad in Bosnien zwischen Familienfesten, der Schule und dem Fluss Drina – bis plötzlich der geliebte Großvater stirbt, was Aleks hautnah miterleben muss. Als kurz darauf der Krieg, der Anfang der 90er-Jahre zwischen den jugoslawischen Staaten herrscht, Višegrad erreicht, endet Aleks’ Kindheit abrupt.

Innerhalb seiner Familie spielt sich der Konflikt ebenso ab wie im Rest des Landes, denn seine Mutter ist eine muslimische Bosnierin, sein Vater ist Serbe. Auf Familienfesten kommt es zunehmend zu Auseinandersetzungen, die Leichtigkeit und die Fröhlichkeit des dörflichen Zusammenlebens sind dahin. Aleks flieht schließlich mit seinen Eltern zunächst aus der Stadt, dann aus dem Land. Über mehrere Stationen landet er mit Mutter und Vater in Essen, im Ruhrgebiet, wo er von da an aufwächst. Die Lebenswelt in Deutschland ist eine komplett andere als die in seiner Heimat. Freundschaften sind zerbrochen und Aleks lebt von seinen Erinnerungen und den Geschichten von früher. Als Erwachsener kehrt er das erste Mal in seine Heimat zurück und begegnet Orten und Menschen von damals. Erst mit diesem Besuch hat er das Gefühl, seine Kindheit abschließen und erwachsen werden zu können.

Bewertung

Stanišić schildert den Riss, der sich aufgrund eines Krieges durch eine Kindheit zieht. Er erzählt, wie Erinnerungen bewahrt werden oder verblassen und wie das Erfinden von Geschichten helfen kann, zu verstehen und zu überleben. Die historischen Umstände sind ein wichtiges Element des Romans, jedoch geht es nicht um das Nacherzählen von Fakten.

Die Geschichte ist zum großen Teil aus Aleksandars Sicht erzählt und es ist vor allem diese kindliche Perspektive, die fasziniert. Sie ist verbunden mit Naivität und Unwissenheit und bietet dadurch einen anderen Blickwinkel als den gewohnten. Der Schrecken des Krieges wird so noch größer, der Hass zwischen Ethnien, Religionen und Nationalitäten noch absurder. In der Erinnerung des Erzählers verschwimmt die Grenze zwischen Fakten und Fiktion, auch versteht er nicht alles, was passiert – hier sind die Leserinnen und Leser gefordert. Dennoch muss man kein Expertenwissen über den Jugoslawienkrieg besitzen, um den Roman zu verstehen. Vielmehr lädt er dazu ein, nachzudenken und nachzufragen.

Stanišić’ Buch ist spannend, traurig, bisweilen aber auch sehr komisch. Wer bildhafte, poetische Sprache und ungewöhnliche Stilmittel mag, wer skurrile, witzige und gut gezeichnete Figuren liebt, wird es sehr gern lesen.

Autor

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad geboren und floh in den 90er-Jahren mit seiner Familie vor dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland. Er studierte in Heidelberg und begann bereits während des Studiums Geschichten zu schreiben. Mit Wie der Soldat das Grammofon repariert erschien 2006 sein Debütroman, der in 30 Sprachen übersetzt wurde und Finalist des Deutschen Buchpreises war. Der Roman ist außerdem als Hörspiel erschienen. 2014 erhielt Stanišić für seinen neusten Roman Das Fest den Preis der Leipziger Buchmesse.

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