• 18. Januar 2018

Nathan Hill: Geister

Buchtipp von Verena Waeger

Nathan Hill: Geister

Nathan Hill: Geister 750 500 Anne Fries

Inhalt

Samuel Andresen-Anderson ist Anfang 30, Literaturprofessor an einem College in Chicago und begeisterter Online-Rollenspieler. Letzteres würde er im „wahren Leben“ natürlich nie zugeben; stattdessen verschanzt er sich nach Feierabend in seinem Büro, um gemeinsam mit virtuellen Freunden Drachen und Orks zur Strecke zu bringen.

Wurde er mit Anfang 20 noch als neues Wunderkind der amerikanischen Literatur gefeiert, hat Samuel nun ein Problem: Zwar hat er damals einen Buchvertrag unterschrieben und einen dicken Vorschuss kassiert, den versprochenen Roman hat er jedoch bis heute nicht geschrieben – sein Verleger Periwinkle ist „not amused“ und droht mit einer Klage.

Dann wird Samuel auch noch mit seiner Mutter Faye konfrontiert, die vor mehr als 20 Jahren nachts die Koffer packte und Mann und Sohn im Stich ließ. Weil sie einen republikanischen Gouverneur mit Steinen beworfen hat, wird Faye von den Medien zur linksradikalen Terroristin abgestempelt und avanciert schnell zum Hauptthema der Nachrichten und zum viralen Videohit. Samuel, der von alledem nichts mitbekommen hat, weil er damit beschäftigt war, in der virtuellen Welt Trolle zu jagen, fällt aus allen Wolken.

Nun sitzt ihm nicht nur ein Anwalt im Nacken, der möchte, dass Samuel seine Mutter in Haft besucht und ein gutes Wort für sie einlegt, sondern auch noch Periwinkle, der das große Geld wittert: Könnte Samuel nicht ein Enthüllungsbuch über seine Mutter schreiben und so doch noch einen Bestseller produzieren? Äußerst widerwillig begibt sich Samuel auf Konfrontationskurs mit seiner Mutter und ihrer Vergangenheit …

Bewertung

Obwohl sich Hills Roman im Vordergrund mit Samuel, Faye und dem komplizierten Beziehungsgeflecht der Familie Andresen-Anderson beschäftigt, ist Geister auch ein Abbild aller möglichen Episoden und Facetten der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft. Dabei beleuchtet Hill nicht nur ernste Themen wie die 68er-Studentenbewegung, den 11. September und den Irak-Krieg, sondern es gelingt ihm auch, urkomische Szenen des modernen Alltags zu entwerfen. So versucht eine arbeitsscheue Studentin der Generation Y, sich mit verschiedenen Taktiken aus Plagiatsvorwürfen herauszureden, und ein übergewichtiger, arbeitsloser Rollenspieler, der sein Leben ändern möchte, durchlebt an der Kasse des Bio-Supermarkts seine persönliche Hölle.

Der Roman lebt von dieser Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Komik, außerdem wirken Hills Personenbeschreibungen und Dialoge so herrlich lebensnah, dass das Lesen eine wahre Freude ist.

Der Titel Geister – im Original The Nix – nimmt Bezug auf eine Geistergestalt aus der nordischen Sagenwelt, die Samuels Großvater aus seiner Heimat Norwegen mit in die USA bringt. Zwar wird die Familie immer mal wieder von diesem Geist heimgesucht, wirklich übernatürlich geht es im Roman aber nicht zu. Vielmehr erzählt er davon, dass jeder Mensch mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat und dass die Suche nach Wahrheit schwierig ist, weil jeder eine andere Wahrheit erfährt.

Autor

Nathan Hill, Jahrgang 1978, ist ein amerikanischer Schriftsteller, der als Journalist für verschiedene Magazine und als Dozent an amerikanischen Universitäten tätig war, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Mit Geister ist 2016 sein erster Roman erschienen, der von Kritikern weltweit in den höchsten Tönen gelobt wurde und bereits in zahlreiche Sprachen übersetzt worden ist. Zu den prominenten Fans des Romans gehört unter anderem John Irving.

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