• 11. August 2020

Der Nominalstil: Fluch oder Segen?

Von Kristina Malzkorn

Der Nominalstil: Fluch oder Segen?

Der Nominalstil: Fluch oder Segen? 750 500 Anne Fries
Wer kennt diese Situation nicht: Man geht nichts Böses ahnend zum Briefkasten und was flattert einem da entgegen? Ein Brief vom Finanzamt. Und man weiß: Der Tag ist gelaufen.

Denn Sätze wie „Wir bitten Sie um die Entrichtung Ihrer Steuerschulden. Nach § 59 der BHO darf ein Anspruch nur gestundet werden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Anspruchsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird“ lassen einen schnell realisieren, dass man um einen Anruf bei der Hotline des Finanzamtes inklusive minutenlangen Verharrens in der Warteschleife nicht rumkommt.

Doch was genau macht diesen Satz so schwierig zu verstehen?

Es ist der sogenannte Nominalstil, eine Ausdrucksweise, bei der besonders viele Substantive und entsprechend weniger Verben oder Adjektive verwendet werden. Häufig werden die Substantive aus Verben oder Adjektiven abgeleitet. Auf diese Art und Weise entstehen Sätze wie „Bei der Befragung der Zeugen kam deren Betroffenheit über das Geschehen zum Ausdruck“. Die Wortkonstrukte, die hier entstanden sind, nennt man Verbalabstrakta („Befragung“) beziehungsweise Adjektivabstrakta („Betroffenheit“). Sich auf diese Weise – mithilfe von Substantivierungen – auf Vorgänge und Eigenschaften zu beziehen, führt zu einer „Verdinglichung“ und soll den Text verdichten. Dieser Schreibstil macht die Texte zwar meist kürzer und spart dem Schreiber vielleicht auch etwas Zeit, beim Leser führt er aber zu einem Zustand der totalen Ratlosigkeit und der Frage:

Häh? Hätte man das nicht auch einfacher ausdrücken können? Die Antwort lautet in aller Regel: Ja, hätte man.

Im oben genannten Beispiel wäre der Leser mit Sicherheit weniger verzweifelt gewesen, wenn in dem Brief gestanden hätte: „Bitte begleichen Sie Ihre Steuerschulden. Nach § 59 dürfen Sie diese später zahlen, wenn Sie jetzt nicht genug Geld vorrätig haben und uns versichern, dass Sie Ihre Schulden zeitnah begleichen.“ 

Aber warum wird gerade im Amtsdeutsch und in wissenschaftlichen Texten der Nominalstil verwendet?

Abgesehen davon, dass der Nominalstil verdichtet und Ereignisse sowie Eigenschaften verdinglicht, scheint er dem Gesagten beziehungsweise (denn hier wird es vorwiegend verwendet) Geschriebenen Bedeutung und Autorität zu verleihen. Genau aus diesem Grunde zerren auch Politiker, wenn sie eine Rede halten müssen, immer einen großen Koffer, vollgepackt mit Substantiven, mit aufs Podium.

So wurde die „Zielerreichung“ der „Eindämmung des Corona-Virus“ mithilfe der „Verhängung von Kontaktbeschränkungen“ und der „Schließung von Geschäften, Restaurants und Freizeiteinrichtungen“ vorangetrieben. Die „Wiedereröffnung“ von Kitas und Schulen ist mit enormen „Einschränkungen“ verbunden und wer sich wieder im öffentlichen Leben bewegen will, soll „den gebotenen Hygienemaßnahmen Beachtung schenken“.

Festzustellen bleibt, dass dieser Schreibstil sehr unschön und schwerfällig ist. Während einzelne nominale Ausdrücke durchaus eine klarere begriffliche Gliederung mit sich bringen können, macht eine Häufung von Substantiven den Inhalt des Satzes abstrakt und nahezu unverständlich. Man sollte beim Schreiben also unbedingt auch zu Verben und Adjektiven greifen, die einen Text anschaulicher, lebendiger und, ja, verständlicher machen.

Zu den Erscheinungen des Nominalstils gehören auch die Funktionsverbgefüge. Ein Beispiel hierfür wäre „die Erwartung hegen“. Hier vermittelt ein Verbalabstraktum (in unserem Fall „Erwartung“) anstelle eines einfachen Verbs („erwarten“), was der Satz eigentlich aussagen soll. Dafür steht im Prädikat nur noch ein Verb ohne konkrete Bedeutung („hegen“). Es hat ausschließlich grammatische Funktion und transportiert die verbalen Kategorien der Person, des Numerus, des Tempus und so weiter.

Doch wozu dienen diese Funktionsverbgefüge? Oftmals erweitern sie unsere Ausdrucksmöglichkeiten. So kann man mit „zum Abschluss bringen“ ausdrücken, dass etwas nach einer gewissen Zeit abgeschlossen sein sollte, während „abschließen“ deutlich macht, dass ein Vorgang möglichst schnell beendet werden muss.

Manchmal können Funktionsverbgefüge aber auch hinderlich sein. Betrachten wir doch einmal folgenden Satz, den Tausende Mütter und Väter tagtäglich so oder ähnlich ihren Kindern gegenüber äußern: „Ich hege die Erwartung, dass du dein Zimmer aufräumst.“ Und? Was wird passieren? Genau, nichts! Das Kind bleibt vor seinem frisch aufgestapelten Scheiterhaufen aus Legosteinen sitzen und wartet darauf, dass er irgendwann unter einer Staubschicht verschwindet. Hätten Mama oder Papa aber gesagt: „Ich erwarte, dass du dein Zimmer aufräumst!“, wäre die Wahrscheinlichkeit der Erfüllung des elterlichen Wunsches durchaus gestiegen. Ups! Da hat sich doch glatt der Nominalstil unbemerkt in diesen Text eingeschlichen!

Zum Abschluss also noch ein kleiner Tipp:

Zur Sicherstellung der Verständlichkeit Ihres Texterzeugnisses sollten Sie der Vermeidung von unnötigen Substantivierungen Beachtung schenken.[1] Denn mit den Worten „Am 20. Oktober eröffnen wir unseren Blumenladen. Dazu laden wir Sie herzlich ein“ erreichen Sie vielleicht mehr Interessierte, als wenn Sie schreiben: „Am 20. Oktober findet die Eröffnung unseres Blumenladens statt. Dazu erhalten Sie hiermit von uns eine Einladung.“

[1] Um Ihren Text verständlicher zu machen, vermeiden Sie unnötige Substantivierungen.


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